Viele pflegebedürftige und ältere Menschen erfahren vermehrt Gewalt in der Pflege. Die Formen und das Ausmaß der Gewalt sind vielseitig und können schwerwiegende Folgen für die betroffenen Personen haben. Dieser Beitrag klärt Sie über den richtigen Umgang mit Gewalt in der Pflege auf.

Was ist Gewalt in der Pflege?

Die Gewalt in der Pflege findet häufig gegenüber pflegebedürftigen und älteren Menschen statt und wird nach der international anerkannten Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO (2008) wie folgt verstanden:

„Unter Gewalt gegen ältere Menschen versteht man eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch einer älteren Person Schaden oder Leid zugefügt wird.“

Die Definition der Weltgesundheitsorganisation bezieht sich vor allem auf Menschen ab 65 Jahren. Dabei kommt die Gewalt in der Pflege in unterschiedlichen Situationen vor und kann demnach auch pflegende Angehörige oder professionell Pflegende betreffen. Dennoch sind insbesondere pflegebedürftige und ältere Menschen von der Gewalt in der Pflege betroffen, 

da sie aufgrund ihres Unterstützungsbedarfs besonders verletzlich und von der Hilfestellung der pflegenden Personen abhängig sind. Im Allgemeinen sind mit der Gewalt in der Pflege alle Handlungen gemeint, die älteren oder auch hilfebedürftigen Menschen Schaden oder Leid zuführen.

Außerdem ist Gewalt von gesellschaftlichen und persönlichen Normen und Werten sowie von kulturellen und sozialen Einflüssen abhängig, weshalb sie unterschiedlich empfunden werden kann. Somit hat die Gewalt in der Pflege auch unterschiedliche Gesichter. Beispielsweise können verbale Beleidigungen oder Drohungen als auch eine bewusste Vernachlässigung von hilfebedürftigen Personen Formen von Gewalt sein.

Formen der Gewalt in der Pflege

In der Pflege existieren unterschiedliche Formen der Gewalt, dessen Intention unabsichtlich, aber auch absichtlich sein kann. Dabei wird insbesondere zwischen der körperlichen, psychischen und verbalen Gewalt unterschieden. Aber auch die sexuelle Gewalt, finanzielle Ausbeutung, Vernachlässigung und freiheitsentziehende Maßnahmen zählen zu den Formen der Gewalt.

Beispiele für Gewalt in der Pflege

Körperliche Gewalt

  • Schlagen, treten, kratzen, schütteln
  • Grobes Anfassen
  • Unbequemes und schmerzhaftes Hinsetzen oder Hinlegen
  • Unachtsames Vorgehen bei Pflegemaßnahmen (z.B. zu heiß oder kalt waschen)
  • Häufige Anwendung von unerlaubten oder freiheitsentziehenden Maßnahmen (z.B. im Raum einschließen, festbinden)
  • Entzug von Nahrung oder Flüssigkeit oder Zwang zur Nahrungsaufnahme
  • Entnahme von Hilfsmitteln (z.B. Gehstock)

Psychische Gewalt

  • Unangemessenes Ansprechen (z.B. schreien, schimpfen, rügen)
  • Missachtung (z.B. von religiösen Vorschriften)
  • Ignoranz
  • Demütigungen und Beleidigungen
  • Drohungen
  • Störung der Privatsphäre und Nachtruhe
  • Vermeidung von Blickkontakt
  • Nichtbeachtung und Verharmlosung der Bedürfnisse
  • Verachtender und würdeloser Umgang

Vernachlässigung

  • Unangemessene Versorgung mit Nahrung und Flüssigkeiten
  • Schlechte pflegerische und medizinische Versorgung
  • Unzureichende Hilfestellung im Alltag
  • Missachtung von emotionalen Bedürfnissen
  • Keine Unterstützung bei der Körperpflege
  • Verweigerung von Bewegung

Finanzielle Ausnutzung

  • Unbefugte Verfügung über persönliches Vermögen
  • Nötigung zu Geldgeschenken
  • Entwendung von Geld oder anderweitigen persönlichen Wertgegenständen
  • Bestimmung über die finanziellen Mittel

Intime Übergriffe

  • Verletzung der Schamgefühle und der Intimsphäre
  • Ausführung von sexuellen Andeutungen
  • Aufforderung oder Zwang zu intimen Kontakten
  • Unerlaubtes Öffnen von Briefen

Wie entsteht Gewalt in der Pflege?

Die Gewalt in der Pflege hat unterschiedliche Ursachen und Auslöser. Häufig wissen die pflegenden Personen gar nicht, dass ihr Verhalten oder ihre Handlungen übergriffig sind und von ihrem Gegenüber als gewalttätig aufgefasst werden können. Daher unterscheidet man zwischen der absichtlichen und unabsichtlichen Gewalt, die oft aufgrund einer mangelnden Sensibilisierung ausgeübt wird.

Häufig hat aggressives und gewalttätiges Verhalten persönliche Gründe und kann sowohl im familiären Umfeld als auch in der professionellen Pflege auftreten. Einige Menschen sind zudem auch anfälliger für gewalttätiges Verhalten, da sie sehr schnell nervös oder wütend werden oder in der Vergangenheit bereits selbst Gewalt erfahren haben. Auch können äußere Gegebenheiten wie finanzielle oder gesundheitliche Probleme dazu führen, dass Menschen gewaltbereiter sind.

Der häufigste Auslöser für die Gewalt in der professionellen Pflege ist allerdings die Überforderung der pflegenden Personen. Die Pflege gilt in Deutschland als ein sehr anstrengender Beruf, der die Pflegekräfte sowohl körperlich als auch psychisch stark belasten kann. Dies liegt vor allem an dem akuten Fachkräftemangel und den bestehenden Arbeitsbedingungen, weshalb Stress und Überforderung zum Alltag der Pflegekräfte gehören. Zudem kann auch das Verhalten der pflegebedürftigen Personen sehr herausfordernd sein, weshalb Pflegekräfte zusätzlich eine hohe Fach- und Pflegekompetenz benötigen. Allerdings kann mangelndes Wissen und Überforderung zu unangemessenem und gewalttätigem Verhalten führen. Aus diesem Grund ist es wichtig, die Fach- und Pflegekompetenz der Pflegekräfte in der Ausbildung entsprechend zu fördern, um Alternativen zur Gewalt zu vermitteln. Auch ist es wichtig, die Anzeichen für eine Überforderung rechtzeitig zu erkennen und frühzeitig für eine Entlastung zu sorgen.

Die Warnsignale einer Überforderung können sich psychisch und körperlich äußern. Mögliche Symptome können sein:

  • Ständige Müdigkeit
  • Unzufriedenheit
  • Nervosität und innere Unruhe
  • Schlafstörungen
  • Kopfschmerzen und Rückenschmerzen
  • Niedergeschlagenheit
  • Angst
  • Aggressivität
  • Herzrasen
  • Gefühl der Wertlosigkeit
  • Gereiztheit
  • Schuldgefühle

Auch pflegende Angehörige können schnell in Situationen geraten, die sie körperlich und psychisch überfordern. Hierbei tragen vor allem spezielle Pflegetechniken und Unterstützungsangebote zur Entlastung bei. Insbesondere die kostenlose Pflegeberatung kann den pflegenden Angehörigen wichtige Informationen über Hilfs- und Entlastungsangebote bereitstellen.

Folgen

Alle Formen der Gewalt in der Pflege können schwere körperliche und psychische Folgen haben, die sich kurz-, aber auch langfristig auswirken. Oft werden durch die Gewalterfahrungen auch die Lebensqualität und die Gesundheit der betroffenen Personen stark eingeschränkt.

Körperliche Folgen von Gewalt gehen häufig mit Verletzungen einher. Diese umfassen meist Blutergüsse, Kratzer oder auch Prellungen und entstehen insbesondere bei freiheitsentziehenden Maßnahmen. Beispielsweise kann die Fixierung mit Gurten zu Druckgeschwüren oder Schürfwunden führen. Aber auch Beschwerden wie Migräne oder Magenschmerzen können langfristige Folgen einer körperlichen Gewalt sein. 

Psychische Folgen machen sich nicht direkt bemerkbar und sind daher schwerer festzustellen. Sind betroffene Personen allerdings langfristig einer Gewalt ausgesetzt, können sie psychische Beschwerden wie Depressionen, aber auch Selbstmordgedanken entwickeln. Aus diesem Grund ist es besonders wichtig, alle Anzeichen und Verhaltensänderungen der pflegebedürftigen Personen ernst zu nehmen und diese zu untersuchen.

Weitere Beispiele für psychische Folgen bei Gewalterfahrungen können sein:

  • Stress
  • Innere Unruhe
  • Angstzustände
  • Antriebslosigkeit
  • Schlafstörungen
  • Aggression

Die Folgen einer Vernachlässigung äußern sich vor allem durch eine mangelhafte Ernährung oder fehlende Pflege. Dies kann dazu führen, dass betroffene Personen sowohl psychische als auch körperliche Fähigkeiten verlieren. Fehlt beispielsweise die notwendige Unterstützung bei der Bewegung, kann sich die Sturzgefahr der pflegebedürftigen Personen erhöhen. Auch führt ein Bewegungsmangel zu steifen Gelenken und Druckgeschwüren.

Maßnahmen gegen Gewalt

Damit die Gewalt in der Pflege gar nicht erst entsteht, kann sie seitens der pflegebedürftigen Personen aber auch der Pflegenden mit gezielten Maßnahmen vorgebeugt werden.

Maßnahmen für Pflegende

Aggressives und gewalttätiges Verhalten der pflegenden Angehörigen oder der professionell Pflegenden kann auf unterschiedliche Art und Weise ausgelöst werden. Wichtig dabei ist es, die Auslöser zu kennen, um gewalttätige Ausbrüche vorbeugen zu können. 

Typische Situationen können Gefühle wie Wut und Ärger auslösen und im schlimmsten Fall zur Gewalt führen. Aus diesem Grund sollten pflegende Personen den richtigen Umgang mit Wut lernen, um die Beherrschung zu bewahren und die Kontrolle nicht zu verlieren.

Tipps zur Beruhigung

  1. Verlassen Sie bei Gefühlen wie Wut oder Ärger den Raum
  2. Gehen Sie paar Schritte hin und her
  3. Schließen Sie die Augen und atmen Sie tief durch
  4. Kühlen Sie sich ab! Lassen Sie kaltes Wasser über Ihre Unterarme und Ihr Gesicht laufen
  5. Richten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf etwas anderes, indem Sie beispielsweise aus dem Fenster schauen
  6. Zerknüllen Sie ein Handtuch oder Papier oder schlagen Sie mit der Faust auf ein Kissen (nicht in Anwesenheit der Pflegebedürftigen!)
  7. Gehen Sie an die frische Luft
  8. Reden Sie mit anderen Personen (z.B. Mitarbeiter*innen) über die Situation
  9. Lassen Sie sich professionell beraten

Zudem ist es wichtig, dass pflegende Personen gegenüber dem Thema Gewalt aufgeklärt und sensibilisiert werden. Somit kann verhindert werden, dass Personen unwissend gewalttätig handeln. Auch das Wissen über unterschiedliche Gewaltformen und ihren Folgen kann zur Prävention von Gewalt beitragen.

Maßnahmen pflegebedürftige Personen

Erfahren pflegebedürftige Personen Gewalt, sollten sie schnell handeln und darüber reden, um entsprechende Hilfs- und Unterstützungsangebote zu erhalten.

Tipps, um sich selbst vor Gewalt zu schützen

  1. Konflikte ansprechen – Sprechen Sie die Person an, von der Sie sich unangemessen behandelt fühlen. Stellen Sie klar, dass Sie gewalttätiges Verhalten nicht akzeptieren.
  2. Unterstützung finden – Sprechen Sie mit vertrauten Personen und berichten Sie über die Vorfälle. Wenden Sie sich gemeinsam an eine Beratungsstelle oder an ein Krisentelefon in Ihrer Umgebung.
  3. Beobachtungen melden – Wenden Sie sich bei gewalttätigem Verhalten der professionell Pflegenden an die Leitung der Einrichtung oder des Pflegedienstes. Informieren Sie auch offizielle Stellen wie den Medizinischen Dienst, die örtliche Heimaufsicht oder den Prüfdienst der Privaten Krankenversicherung. Diese Institutionen müssen bei akuter Gefahr direkt handeln und die entsprechende Einrichtung prüfen.
  4. Polizei rufen – Kontaktieren Sie die Polizei, wenn Sie körperlich stark verletzt oder stark vernachlässigt werden. Die Polizei erreichen Sie unter der Notrufnummer 110.

Wird unangemessenes oder bereits gewalttätiges Verhalten gegenüber pflegebedürftigen Personen beobachtet, sollte nicht gezögert und schnellstmöglich eingegriffen werden. Auch bei Vermutungen von Gewalt sollten entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.

Tipps, um andere vor Gewalt zu schützen

  1. Betroffene Personen ansprechen – Sprechen Sie die betroffene Person oder Ihre Angehörigen auf Ihre Beobachtungen sensibel an. Stellen Sie auch Ihre Hilfestellung zur Verfügung.
  2. Unterstützung finden – Besprechen Sie mit der betroffenen Person und Ihren Angehörigen gemeinsam, wie sie vorgehen können. Wenden Sie sich auch an externe Unterstützungsangebote durch das Krisentelefon oder anderweitige Beratungsstellen.
  3. Beobachtung melden – Wenden Sie sich mit Ihren Beobachtungen an die zuständige Pflegekraft und an die Leitung der Einrichtung.
  4. Polizei rufen – Kontaktieren Sie die Polizei, wenn eine andere Person körperlich verletzt, bedroht oder stark vernachlässigt wird.
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