Pflegebedürftigkeit wird definiert als ein Zustand, in dem eine Person aufgrund einer Krankheit oder Behinderung nicht mehr selbstständig in der Lage ist ihren Alltag zu bewältigen. Es entsteht eine Abhängigkeit von Pflege oder Hilfe von außen.

Eine Pflegebedürftigkeit liegt nach dem Gesetzgeber vor, wenn die Einschränkungen dauerhaft vorliegen. Dauerhaft ist eine Erkrankung, wenn sie länger als 6 Monate besteht und der Betroffene nicht mehr in der Lage ist seinen alltäglichen Verpflichtungen, Aktivitäten und Aufgaben nachzugehen.

Häufig handelt es sich auch um altersbedingte Einschränkungen. Jedoch beschränkt sich der Begriff der Pflegebedürftigkeit nicht nur auf das Gebiet der Altenpflege. Es werden auch Personen mit körperlichen, kognitiven und psychischen Beeinträchtigungen eingeschlossen. Alle diejenigen, die ihren Alltag nicht mehr allein bewältigen können. Die unterstützenden Maßnahmen können hauswirtschaftlicher oder pflegender Art sein. Auch die unterstützende Person kann, je nach Fall, unterschiedlich sein. So können sowohl Angehörige, Fachkräfte wie auch ambulante Pflegekräfte Hilfe erbringen.

Inhalt

Leistungen bei Pflegebedürftigkeit
Feststellung der Pflegebedürftigkeit: Pflegegrad beantragen
Beurteilung der Pflegebedürftigkeit: Pflegebegutachtung
Tipps für die Pflegebegutachtung
Widerspruch bei Einstufung in einen falschen Pflegegrad

 Leistungen bei Pflegebedürftigkeit

Die Pflegebedürftigkeit fungiert in Deutschland als Maßstab. An diesem misst der Staat, ob Du Pflegeleistungen erhalten kannst und wenn ja, in welcher Höhe. In Deutschland hat jeder Pflegebedürftige Anrecht auf eine finanzielle Unterstützung. Der Umfang dieser Unterstützung ist abhängig vom Pflegegrad. Es gibt 5 Pflegegrade. Von Pflegegrad 1 mit geringen Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit bis hin zu Pflegegrad 5, der die schwersten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit miteinschließt.

Je höher dein Pflegegrad ist, desto erheblicher sind deine Beeinträchtigungen im Alltag und umso mehr Geld erhältst Du zum Ausgleich deiner Defizite. Unten siehst Du eine Tabelle, in der die entsprechenden Pflegegrade und die mit ihnen verbundenen Pflegeleistungen zusammengefasst sind.

Übersicht der Pflegegrade und der entsprechenden Pflegeleistungen:

LeistungsbeschreibungPflegegrad 1Pflegegrad 2Pflegegrad 3Pflegegrad 4Pflegegrad 5
Pflegegeld
(monatlich)
 
  –
316 €545 € 728 €901 €
Pflegesachleistungen (monatlich)
689 €1.298 €1.612 €1.995 €
Tages- und Nachtpflege (monatlich)
689 €1.298 €1.612 €1.995 €
Kurzzeitpflege
(jährlich)

1.612 €1.612 €1.612 €1.612 €
Verhinderungspflege
(jährlich)

1.612 €1.612 €1.612 €1.612 €
Vollstationäre Pflege (monatlich)
770 €1.262 €1.775 €2.005 €
Betreuungs- und Entlastungsleistungen (monatlich)  125 €  125 €  125 €  125 €  125 €
Pflegehilfsmittel zum Verbrauch 
(monatlich)
  60 €  60 €  60 €  60 €  60 €
Hausnotruf
(monatlich)
23 €23 €23 €23 €23 €
Wohnraumanpassung
(je Maßnahme)
4.000 €4.000 €4.000 €4.000 €4.000 €
Wohngruppenzuschuss (monatlich)214 €214 €214 €214 €214 €
Quelle: Medizinischer Dienst des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS)

Feststellung der Pflegebedürftigkeit: Pflegegrad beantragen

Du hast vier Möglichkeiten einen Pflegegradantrag bei Deiner Pflegeversicherung zu stellen:

  • Du rufst telefonisch bei deiner Pflegekasse an
  • Du verfasst einen formlosen Brief
  • Du nutzt das Onlineformular auf der Website deiner Pflegekasse
  • Du besuchst einen Pflegestützpunkt

Es empfiehlt sich die Beantragung mithilfe eines formlosen Briefes zu stellen. Bei dieser Form kann das genaue Datum der Antragsstellung jederzeit nachgewiesen werden.

Nach eingegangener Beantragung des Pflegegrades, werden dir alle für den Antrag erforderlichen Unterlagen postalisch zugesandt. Die Unterlagen füllst Du oder Dein/e Betreuer/in aus und sendest diese zurück an deine Pflegekasse. Die erforderlichen Formulare findest Du auch auf der Internetseite deiner Pflegekasse, entweder direkt zum ausfüllen oder zum herunterladen.

Bei der Beantragung des Pflegegrades ist es wichtig anzugeben, welche Leistungen Du beantragen möchtest (beispielsweise ambulant, stationär durch einen Pflegedienst oder häusliche Pflege). Diese Entscheidung sollte im Vorfeld gut überlegt und entschieden werden. Es gibt auch die Möglichkeit verschiedene Varianten zu kombinieren. Zum Beispiel, dass Du morgens durch einen ambulanten Pflegedienst betreut wirst und abends durch Deine Angehörigen. Nimm dir bei dieser Entscheidung Zeit, um für dich die geeignete Variante herauszufinden.

Wenn sich deine Pflegebedürftigkeit verändert hat, beziehungsweise deine Beeinträchtigungen im Alltag mit der Zeit weiter zunehmen, hast Du jederzeit die Möglichkeit, einen Höherstufungsantrag bei deiner Pflegekasse zu stellen. Dieser wird genauso wie der Erstantrag gestellt und zieht eine erneute Beurteilung durch den Medizinischen Dienst (MD) nach sich.

Beurteilung der Pflegebedürftigkeit: Pflegebegutachtung

Nachdem Du alle erforderlichen Unterlagen und Formulare an deine Pflegekassen gesandt hast, nimmt der MD für gesetzlich Krankenversicherte oder MEDICPROOF bei privat Krankenversicherten Kontakt mit Dir auf. Nach einer Terminabsprache kommt der Gutachter für die Pflegebegutachtung zu Dir nach Hause. Während der Corona-Pandemie findet die Begutachtung teilweise nicht persönlich statt, sondern per Telefoninterview. 

Die Gutachter des MD prüfen Deine Selbstständigkeit und Fähigkeiten in verschiedenen Bereichen. Diese Bereiche sind standardisiert und in 6 Module gegliedert. In diesen Modulen sind verschiedene Bereiche des täglichen Lebens enthalten.

  1. Die Mobilität: Der Bereich 1 Mobilität, beschreibt deine Selbstständigkeit bei motorischen Abläufen wie beispielweise beim Sitzen, Gehen oder Treppensteigen.
  2. Kognitiven und kommunikativen Fähigkeiten: Im Bereich 2 sind deine Fähigkeiten zu kommunizieren, Bedürfnisse zu äußern als auch dein Erinnerungsvermögen eingeschlossen.
  3. Verhaltensweisen und psychische Probleme/ Auffälligkeiten: Unter Modul 3 fallen alle Einschränkungen im Umgang sowohl mit Problemen und Emotionen als auch auffällige Verhaltensweisen, z.B. Wut, Aggressionen, Depressionen etc. hinein.
  4. Die Selbstversorgung: Im Modul der Selbstversorgung werden alle Fähigkeiten der individuellen Selbstversorgung und Körperhygiene gefasst, wie beispielweise die Zubereitung von Nahrung und die Durchführung der Körperpflege.
  5. Bewältigung und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen: Modul 5 umfasst die Umsetzung ärztlich angeordneter Maßnahmen wie die Einnahme von Medikamenten oder das Wechseln von Verbänden.
  6. Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Zuletzt sind im Modul 6 die Einschränkungen der Selbstständigkeit in dem Bereich Tages und Freizeitplanung als auch die Einhaltung von Nacht- und Ruhephasen gefasst.

Die Begutachtung erfolgt nach einem Begutachtungsassessment (NBA), welches auf der Grundlage eines Punktesystems basiert. Hierbei beträgt die Höchstpunktzahl 100. Es gilt, je höher die ermittelte Punktzahl des Antragsstellers, desto unselbstständiger wird die betroffene Person eingestuft. Daraus resultiert die Zuweisung in einen (höheren) Pflegegrad. Für die Ermittlung der Punktzahl zieht der Gutachter die sechs o. g. Module heran. Für jedes Modul vergibt er Punkte, die unterschiedlich gewichtet werden. Die Punkteskala reicht von 0 bis 100, wobei 100 für den höchsten Grad der Unselbstständigkeit steht. Die sechs Module beinhalten folgende Bereiche:


ModulModulinhaltGewichtung
Modul 1Mobilität10 %
Modul 2Kognitive und kommunikative Fähigkeiten15 %*
Modul 3Verhalten und psychische Problemlagen15 %*
Modul 4Selbstversorgung40 %
Modul 5Bewältigung und selbstständiger Umgang mit krankheits-
oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen
20 %
Modul 6Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte15 %
*Die höhere Punktzahl aus den Modulen 2 und 3 zählt, Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, 2019

Diese Tabelle zeigt Dir eine Übersicht der gewichteten Modulpunkte und den zugewiesenen Pflegegrad:

Tabelle: Punkte für die Pflegegrade 1,2,3,4 und 5
Pflegegrad 112,5 bis unter 27 Punkte
Pflegegrad 227 bis unter 47,5 Punkte
Pflegegrad 347,5 bis unter 70 Punkte
Pflegegrad 470 bis unter 90 Punkte
Pflegegrad 590 bis 100 Punkte
Quelle: Bundesministerium für Gesundheit, 2019

Auf dieser Basis wird nun vom MD ein Pflegegutachten erstellt. Das daraus resultierende Gutachten wird Deiner Pflegekasse übersandt.

Dieses Pflegegutachten bildet die Basis für die Entscheidung der Versicherung über die Anerkennung oder Ablehnung des Pflegegrades. Deine Pflegekasse entscheidet anhand des Gutachtens über Deinen Pflegegrad und teilt Dir Deine Einstufung postalisch mit.

Anhand Deiner Einstufung wurde deine Pflegebedürftigkeit festgestellt und in einem Bereich zwischen einer leichten (Pflegegrad 1) bis schweren (Pflegegrad 5) Beeinträchtigung zugeordnet. Aufgrund deiner Einstufung erhältst Du entsprechende Pflegeleistungen, die Du nochmals der obenstehenden Tabelle des MD entnehmen kannst.

Tipps für die Pflegebegutachtung

  • Halte alle notwendigen Dokumente bereit, wie Arztberichte, Medikamentenplan, Pflegedokumentation, Entlassungsberichte von Krankenhausaufenthalten etc.
  • Stelle die Anwesenheit eines Angehörigen oder Deiner pflegerischen Betreuungsperson bei der Begutachtung sicher. Einerseits dient die Anwesenheit als mentale Unterstützung und andererseits um den MD ein ganzheitliches Bild von der pflegerischen Situation und Deinem Umfeld zu vermitteln.
  • Aufgrund der weltweit herrschenden Pandemie finden bis auf unbestimmte Zeit Pflegebegutachtungen nicht mehr in Form von Hausbesuchen statt. Sondern werden als telefonisches Interview, nach einer Terminabsprache, durchgeführt. Trotz allem sollten alle erforderlichen Unterlagen vorbereitet werden und Dein Pfleger zum Interview anwesend sein. Die Begutachtung findet weiterhin nach einheitlichen Begutachtungsassessments statt und Du hast durch die telefonische Begutachtung keinerlei Nachteile.

Widerspruch gegen Pflegegrad

Falls der Pflegegrad abgelehnt oder Deiner Auffassung nach falsch eingestuft wurde, kannst du innerhalb von vier Wochen Widerspruch gegen den Pflegegrad einreichen. Die Widerspruchsfrist gilt ab dem Datum der Gutachtenerstellung, welches du deinem Bescheid entnehmen kannst.

Du kannst im Vorfeld prüfen, ob sich ein Widerspruch lohnt. Indem du schaust, ob Du ausreichende Argumente für einen Widerspruch hast, wie die Überprüfung der Punktedifferenz zum nächstmöglichen Pflegegrad. Pflegegrad 1 endet beispielsweise unter 27 Punkten und Pflegegrad 2 beginnt bei 27 Punkten. Wenn die Punktedifferenz zum nächstmöglichen Pflegegrad gering ist, lohnt sich häufig ein Widerspruch. Anhand dieser Faktoren kannst Du im Vorfeld abwägen, wie zielführend ein Widerspruch ist.

Wenn Du dich für einen Widerspruch entscheidest, beachte die Frist, um einen Widerspruch einlegen zu können. Du kannst den Widerspruch per (Post-) Einschreiben, Telefax mit Sendebericht oder persönliche Abgabe mit Empfangsbestätigung einreichen. Führe hierbei keine Argumentation an, sondern bestätige nur Dein Widerspruchsvorhaben.

Im nächsten Schritt baust Du deine schriftliche Argumentation auf. Hierbei kannst Du Dein Erstgutachten zur Hilfe ziehen. Falls Dir Dein Gutachten nicht zusammen mit Deinem Erstbescheid postalisch zugesandt wurde, kannst Du diesen nachträglich anfordern. Entweder kontaktierst Du Deine Pflegekasse schriftlich oder telefonisch. Versuche auch einmal selbst das Gutachten Deines Erachtens auszufüllen. Die Punkte, bei denen sich Differenzen zwischen Deiner Auffassung und der des Gutachters ergeben sind für Dich ausschlaggebend. An diesen Punkten solltest Du ansetzen und argumentieren, weshalb Du dort einen höheren pflegerischen Bedarf hast, als vom Gutachter eingeschätzt wurde. Du kannst auch andere Personen, wie beispielsweise Dein Pflegepersonal um Rat fragen. Diese schriftliche Argumentation sendest Du postalisch (mit Einschreiben) an Deine Pflegekasse.
Wenn Deine Argumentation überzeugt, zieht dies eine erneute Begutachtung durch den MD nach sich. Anschließend erhältst Du einen neuen Bescheid über die Bewilligung oder Ablehnung deines Widerspruchs.